Wer einen Oldtimer fährt, sollte die Platte kennen lernen. Das Ding liegt versteckt auf dem Übungsgelände des OAC in Olpe und lauert an diesem Nachmittag im Oktober auf ein Dutzend Unerschrockene, die sich dem Thema „Beherrschung instabiler Fahrzustände“ nähern wollen.
Erste Erkenntnis: Wenn der Computer nicht hilft, helfen nur Reflexe. Die Platte versetzt das Auto durch eine abrupte Seitwärtsbewegung auf Höhe der Hinterachse in Rotation und dann „reflext“ der Fahrer, so gut er kann. Auf der bewässerten Fläche, die in etwa die Griffigkeit einer festgefahrenen Schneedecke hat, sollte das allerdings äußerst zügig klappen, sonst fährt man nicht mehr Auto, sondern Karussell.
Anfangs fahren alle Karussell, aber wer sich Versuch um Versuch im Selektionsprozess der Platte behauptet, sich wieder zum Autofahrer zurückentwickelt, ahnt, warum aus dem früheren Oldtimer-Rallyetraining eine „Oldtimer Driving Experience“ geworden ist. Organisator Peter Göbel geht es nicht nur darum, den Teilnehmern seiner Kurse das kleine Einmaleins der Gleichmäßigkeitsrallyes für Oldtimer beizubringen, sondern ihnen auch das Gefühl dafür zurückzugeben, was es heißt, in einem Auto zu sitzen, das nicht besser bremsen kann als der Fahrer.
Die „Platte“ hat also auch einen archäologischen Aspekt. Sie legt frei, was längst verschüttet schien – das gute, alte Fahrgefühl, dessen Sensoren die Überlieferungen aus der Kfz-Antike im „Popometer“ verorten. Natürlich bleibt keiner sich selbst überlassen, Tipps gibt’s von einem der Großen. Matthias Kahle, gemeinsam mit Peter Göbel vielfacher Deutscher Rallyemeister, erklärt und zeigt wie’s geht. An einer Aufgabe scheitern alle: ein Mini (Baujahr 1971) ist im Feld. Die Ur-Minis heißen nicht nur so, sie sind es auch. Mit seinem geringen Gewicht und kurzem Radstand hat die Platte leichtes Spiel, alle fahren Karussell, die Platte gewinnt jedes Mal – bis Kahle kommt.
Das Training auf dem Olper OAC-Gelände ist allerdings nur eine Dreingabe, denn eigentlich geht’s immer noch um die Tricks der Gleichmäßigkeitsrallyes, die aus Navigation und Präzision bestehen. Zunächst die Theorie (Freitagabend), dann die Praxis (Samstag / Sonntag) mit zwei Rallyes durch den Kreis Olpe sowie die schönsten Ecken der Nachbarkreise MK, HSK und Siegen-Wittgenstein.
In den Wertungsprüfungen geht es darum, bestimmte Strecken in einer exakten Zeitvorgabe zurückzulegen. Das können 100 Meter in zehn Sekunden sein, das können aber auch 2,55 Kilometer in einem exakten Schnitt und 42 km/h in 4 Minuten sein. Und 4 Minuten heißt 4:00:00 Minuten – gemessen wird per Lichtschranke in hundertstel Sekunden. Das geht nicht? Doch, das geht. Göbel weiß wie. Aber er weiß noch mehr. Er kennt auch die miesen Tricks der Veranstalter, die, auf die Anfänger so gern hereinfallen. Es ist nämlich ein Unterschied, ob im Roadbook für eine Wertungsprüfung 4:40 Minuten Zeit angegeben sind oder 4,40 Minuten. Im ersten Fall reden wir von 4 Minuten, 40 Sekunden, im zweiten von 4 Minuten, 24 Sekunden. 16 Sekunden Unterschied, in jeder Wertungsprüfung Anlass für die volle Ration Strafpunkte und teaminterne Diskussionen.
„Teamintern“ ist ein Thema, das Peter Göbel mindestens so wichtig wie die Platte ist. Oldtimerrallyes sollen Spaß machen. Eine Startvoraussetzung, die bisweilen bedroht wird durch die Arbeitsverteilung im Auto. Der Navigator lotst die Fuhre im vorgegebenen Zeitrahmen in Sichtweise des Ziels, der Fahrer kümmert sich um die Zieldurchfaht. Seine Sache sind die Hundertstel, mit denen die Rallyes entschieden werden.
In der klassischen Er-fährt-seinen-geliebten-Oldtimer-sie-macht-Navigation-Verteilung lauert das Risiko: Karte lesen, Wegstreckenzähler bedienen und Stoppuhren im Auge behalten gehören nämlich nicht unbedingt zu den Freizeitbeschäftigungen, durch die für Frauen unerfüllte Sehnsüchte in Erfüllung gehen. Wenn er in einer Sonderprüfung mit Weggabelung „Rechts oder links?“ fragt und sie „Woher soll ich das denn wissen?“ antwortet, ist die Harmonie ernsthaft gefährdet, wenn Mann es zu ernst nimmt und Platz 52 in einem 120-Teilnehmer-Feld als ehrenrührig oder persönliche Kränkung empfindet. Göbel kennt Geschichten von Roadbooks, die aus dem Fenster geflogen sind und Beziehungen, die ernsthaft in Gefahr gerieten. Immerhin, Blut ist noch nicht geflossen und die Zahl der Teams, die sogar ein zweites Mal antreten, weil es tatsächlich Spaß gemacht hat, nimmt zu.
Text: Gunnar Steinbach
Foto: Dirk Göbel