Die berühmteste Rallye schreibt wieder einmal Geschichte. Zum ersten Mal gehört der Klassiker nicht zur WM, zum ersten Mal sind keine WRC am Start. Dafür sorgen Eis und Schnee für viele Aha-Momente. Peter Göbel verfolgte das Treiben in den Seealpen im Allrad VW Multivan.
Zusammen mit Rallyefotograf Reinhard Klein machte sich der Korber auf den Weg zur Monte. Im allradangetriebenen VW Multivan California gab es trotz Schneefall und Glätte kein Halt. Nicht ganz so gut lief es bei den Offiziellen und Teilnehmern. Die folgenden Zeilen sind ein Auszug aus der Rallye-Story, die Peter Göbel für Rallye – Das Magazin verfasst hat.
Die lustigste aller Szenen ereignete sich auf der vierten Wertungsprüfung von Labatie d’Andaure nach Saint Pierre sur Doux. Auf einer ultraglatten Passage bei Kilometer 9,5 fliegt schon am Abend vor dem eigentlichen Start der Prüfung der Veranstalter mit einem nagelneuen Renault Koleos 4×4 ins Unterholz. Der Einschlag erfolgt vorne rechts, das Auto dreht sich um die eigene Achse und verkeilt sich millimetergenau zwischen drei Bäumen. Schweres Bergegerät ist angesagt, doch es dauert über drei Stunden, bis die Veranstalter den Havarierten unter dem Gejohle der Fans bergen können.
Als dann am Morgen die ersten Lagerfeuer wieder in Gang gesetzt werden, steckt das WP-Eröffnungsfahrzeug (Subaru Impreza WRX STI) bereits kopfüber genau dort, wo am Abend zuvor die Offiziellen mit ihrem Renault beschäftigt waren. Wieder sind Seilwinden im Einsatz, doch kaum haben sich die Fans beruhigt, rauscht die Gendarmerie mit einem Blaulicht-Kangoo als Dritte von der Piste. Die Stimmung erreicht vorerst ihren Höhepunkt.
Didier Auriol hat zu diesem Zeitpunkt seinen Höhepunkt schon hinter sich. Der Weltmeister von 1994 gilt mit seinem Peugeot 207 S2000 als Geheimfavorit, doch drei Monte-Siege können dem Franzosen diesmal auch nicht helfen. Schon auf der vereisten WP 1 rutscht Auriol in einer mittelschnellen Links gegen einen Felsen, wenige Sekunden später muss er zuschauen, wie sein rechtes Vorderrad lustlos an ihm vorbeikullert. Dramatischer ist der Auftakt nur noch für Luca Rossetti. Der Viertplatzierte der Intercontinental Rally Challenge 2008 gönnt seinem Grande Punto ebenfalls mehr Straße als vorhanden, sein Abarth schlägt in ein Garagentor und fängt vor den Augen des geschockten Hausbesitzers sogar kurz Feuer. Die erste Bestzeit gehört dem amtierenden IRC-Champ Nicolas Vouilloz, doch das ist nicht die erste echte Überraschung.
Diese gelingt nach Wertungsprüfung zwei dem zurückgekehrten Skoda-Werksteam. Denn mit einer weiteren Top-Zeit liegt plötzlich Juho Hanninen im brandneuen Fabia S2000 an der Spitze des Feldes. Wer bis dato noch an einen unverdienten Zufall glaubt, muss seine Meinung schnell überdenken. Denn auch auf der dritten und letzten WP des ersten Tages bleibt der Skoda-Neuzugang mit 11,9 Sekunden vorne und holt den ersten Tagessieg für eine hochmotivierte Truppe aus Tschechien. Und noch etwas lässt die Herzen aller höher schlagen. Eurosport hat sich die Vermarktung der IRC nicht nur groß auf die Fahnen geschrieben, sie lösen ihr Versprechen auch ein. Täglich gibt es gekonnt aufbereitete Live-Bilder von der Monte. Sucht man am ersten Tag mit Gewalt ein Haar in der Suppe, könnte man die großen Distanzen zwischen den drei Wertungsprüfungen des ersten Tages anführen. Nach elf Stunden Fahrzeit haben die Teams gerade einmal 78 Vollgas-, aber schon 497 Verbindungs-Kilometer auf der Uhr.
Tag zwei beginnt, wie der erste endet. Leichter Schneefall am Vorabend verzaubert die hoch gelegenen Prüfungen rund um St. Bonnet le Froid in eine Winterlandschaft. Bei minus acht Grad zittern die Fans und auch die Eisspione stehen vor ihrer ersten Bewährungsprobe. Die Reifenwahl entpuppt sich als Lotteriespiel. Das erste blaue Auge holt sich Nicolas Vouilloz. Nach wenigen Metern touchiert der Peugeot-Pilot stabiles Werk, mit onduliertem Rücklicht und offener Heckklappe tastet sich der Mountainbike-Weltmeister ab sofort behutsamer übers Eis. Einen noch schlechteren Start erwischt Stéphane Sarrazin. Der bis dato Zweitplatzierte will die erfolgshungrige Skoda-Mannschaft gleich auf der ersten Prüfung in die Schranken weisen, doch der Rundstreckenprofi segelt genau dort ab, wo bereits die lustigste Geschichte der Rallye stattgefunden hat. Offizielle und Gendarmerie haben ihre Karren zuvor selbst aus dem Graben ziehen müssen, bei Sarrazin ist es eine hochmotivierte Menschenmenge, die den Peugeot nach über vier Minuten Zeitverlust zurück auf die Straße wirft.
Während der Franzose mit dieser Aktion alle ernsthaften Siegambitionen über Bord wirft, gräbt Skoda das Kriegsbeil nun richtig aus. Der 27-jährige Hanninen vergrößert seinen Vorsprung mit zwei Bestzeiten in Folge auf über eine Minute und Jan Kopecky holt sich nach anfänglichen Problemen mit der Servolenkung die dritte Skoda-Bestzeit vor der Mittagspause. Deutlich weniger ist dagegen von den Italienern zu sehen. Giandomenico Basso und Toni Gardemeister spielen zwar die ersten Abarth-Geigen, doch die Zeiten von Peugeot (Bestzeit auf WP 7) und Skoda (Bestzeit auf WP 8) bleiben weiterhin außer Reichweite. Einer, der bis dahin zwar zügig aber nicht auffällig schnell unterwegs ist, rollt plötzlich als Führender ins Etappenziel von Valence. Supertalent Sebastién Ogier wird erst kurz vor der Rallye ins BF-Goodrich-Auto gewählt, doch wie sein Namensvetter Loeb will nun er der Rallye Monte Carlo seinen Stempel aufdrücken. „Ich habe mir schon vor dem Start vorgenommen, nichts zu übertreiben“, sagt er zurückhaltend. Und dass das Power-Play an der Spitze nicht ohne Streuverluste bleibt, ahnte Ogier ebenfalls. Noch am selben Abend scheidet Vouilloz mit gebrochener Lenkung aus. Juho Hanninen findet sich nach einem Reifenschaden auf der letzen WP des Tages nur noch auf Rang drei wieder.
Exakt 54,8 Sekunden Rückstand auf den Führenden wären für Hanninen auch am letzten Tag noch machbar gewesen, doch nach einem herzhaften Abgang muss auch der Finne die Koffer packen. Kris Meeke schafft auf 20 Zentimeter Neuschnee ein paar Kilometer mehr, bis sich auch der Peugeot 207 einer äußert unvorteilhaften Kaltverformung unterziehen darf. In der Gruppe-N hat Franz Wittmann im Mitsubishi-Lancer das Zepter überlegen in der Hand. Beständig liegt der Österreicher unter den Top 10, doch dann gibt der Motor in Folge eines Turboschadens den Geist auf. Am meisten profitiert Ogier von den Ausfällen. Mit nur einer Bestzeit während der gesamten Rallye vergrößert er seinen Vorsprung auf fast zwei Minuten.
Als letztes steht die zweimalige Überquerung des berüchtigten Col de Turini auf dem Programm. Nach 13 Jahren wird die berühmteste aller Wertungsprüfungen wieder nachts gestartet. Die erste Bestzeit geht überraschend an Freddy Loix. Der Peugeot-Pilot leistet sich im Verlauf der Rallye keine groben Schnitzer und liegt nun verdient auf Rang drei. Toni Gardemeister klettert nach zwei Top-Zeiten im Gesamtklassement klammheimlich noch vor den Belgier, ehe ihn eine defekte Lichtmaschine auf der Anfahrt zur letzten Schleife aus dem Rennen wirft – damit ist Loix sogar Zweiter. Giandomenico Basso sichert Abarth auf der drittletzten Prüfung eine einsame Bestzeit und ganz zum Schluss hält Stéphane Sarrazin mit zwei Bestzeiten den immer schneller werdenden Kopecky in Schach. Zufriedene Gesichter gibt es aber auch hier, denn mit dem furiosen Fabia S2000-Debüt haben nicht einmal die Tschechen selbst gerechnet.
Nach der gesamten Dramatik mit zahlreichen Ausfällen, drei Führungswechseln und acht Wertungsprüfungs-Siegern vermissen die Fans weder fehlende World Rally Cars noch die WM. Einen Verdienst-Orden kann sich der Sender und IRC-Vermarkter Eurosport ans Revers heften. Spätestens mit der eineinhalbstündigen Live-Übertragung der Turini-Prüfung beweist man maximales Engagement. Auf der Passhöhe stehen gleich mehrere Übertragungswagen, um Inboard- und Pass-Bilder in die Welt zu senden. Außerdem sitzt IRC-Chef Jean-Pierre Nicolas mitten in der Nacht höchstpersönlich vor dem Mikro, um den Zauber am Berg zu kommentieren. Dass die Kulisse nur mit mageren 500 Zuschauern gefüllt ist, liegt am unbeweglichen ACM und der Gendarmerie. Bereist mehrere Stunden vor dem ersten Auto wird die Prüfung für Zuschauer abgeriegelt, zudem versperrt ein Erdrutsch zwischen Sospel und Le Moulinet die dritte Zufahrt auf den Turini. Dennoch bleiben am Ende bei allen Beteiligten ein paar Fragen offen. Muss die Monte 2010 wieder zurück in die WM, wo die Vermarktung alles andere als geklärt ist? Auch das spürbare Fehlen der World Rally Cars könnte sich relativieren, sobald die S2000 Fahrzeug als Plus eine Turboaufladung bekommen. Und wenn der Automobilclub von Monaco schlussendlich das sechstägige (!) Training abschafft und die Rallye statt von Mittwoch bis Freitag in Richtung Wochenende verschiebt, dann könnte die gesamte Rallye Monte Carlo wieder richtig lustig werden.
Gesamtergebnis 77. Rallye Monte Carlo nach 1624,74 km und 14 WP über 362,25 km:
1. | Sebastién Ogier / Julien Ingrassia | Peugeot 207 S2000 |
4.40:45,7 h |
2. | Freddy Loix / Isidoor Smets | Peugeot 207 S2000 |
+ 1:43,6 min |
3. | Stéphane Sarrazin / Jaques-Julien Renucci | Peugeot 207 S2000 |
+ 2:21,6 min |
4. | Jan Kopecky / Petr Stary | Skoda Fabia S2000 |
+ 3:17,3 min |
5. | Giandomenico Basso / Mitia Dotta | Fiat Abarth Grande Punto S2000 |
+ 4:28,0 min |
6. | Frédéric Romeyer / Thomas Fournel | Mitsubishi Lancer Evo IX |
+ 20:30,3 min |
7. | Olivier Burri / Fabrice Gordon | Fiat Abarth Grande Punto S2000 |
+ 21:23,0 min |
8. | Luca Betti / Alessandro Mattioda | Renault Clio |
+ 24:04,8 min |
9. | Patrick Artru / Patrice Virieux | Mitsubishi Lancer Evo IX |
+ 25:50,7 min |
10. | Damien Daumas / Christophe Jaussaud | Renault Clio |
+ 27:59,8 min |
Die Eindrücke der Rallye Monte Carlo gibt es in der Galerie >
Mehr Infos zur Rallye Monte Carlo gibt es unter www.rallye-magazin.de
Fotos: Peter Göbel
Galerie: Reinhard Klein, Peter Göbel